Schon bei der Gründung des Suhrkamp Verlags waren der Vertrieb von Bühnentexten und die Zusammenarbeit mit Dramatikern und Hörspielautoren von entscheidender Bedeutung. Das hing nicht nur damit zusammen, dass Peter Suhrkamp selbst Dramaturg und Theaterkritiker war, bevor er den Beruf des Verlegers ergriff, es lag auch daran, dass das Dokumentar- und Sprechtheater für den öffentlichen Diskurs zwischen 1945 und ca. 1975 in beiden deutschen Staaten eine zentrale Funktion hatte.
Dies machte es für den Verlag schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit selbstverständlich, sich für national und international führende Bühnenautoren wie George Bernhard Shaw oder T. S. Eliot zu engagieren. Darüber hinaus wurde diese Arbeit mit der Betreuung der Werke von Bertolt Brecht, Max Frisch und vielen anderen schnell zu einem wichtigen ökonomischen Faktor. Im Laufe der 1960er Jahre entstand daraus eine weitgehend selbständige Abteilung, deren Arbeit im Siegfried Unseld Archiv in fast 800 Archivkästen breit und auf vielfältige Weise dokumentiert ist. Das Material deckt einen Untersuchungszeitraum von 1945 bis 2002 ab.
Auf der Grundlage der Archivalien des Suhrkamp Theaterverlags bietet sich die Möglichkeit, den Verlag als Agenten im Spannungsfeld einer medialen, intellektuellen und kulturellen Öffentlichkeit zu untersuchen, in der dem Theaterbetrieb eine zentrale Rolle zukam. Die zahlreichen Korrespondenzen zwischen dem Verlag und den Autoren, den Bühnen und Regisseuren ermöglichen Einblicke in ein Netzwerk, das für die Debatten der Bundesrepublik prägend war.
Politische Streitfragen und gesellschaftliche Dissonanzen wurden im Medium des Theaters verhandelt, Theaterautoren erlangten mit ihren Stücken internationale Aufmerksamkeit. Wie ist der Verlag beispielsweise im Falle von Peter Handkes Stück Kaspar, das im Mai 1968 in einer Inszenierung von Claus Peymann uraufgeführt wurde, im Spannungsfeld von Text, Autor, Regisseur und medialer Öffentlichkeit positioniert? Welchen Anteil hat Suhrkamp am Erfolg von Peter Weiss’ Marat-Stück, das von Peter Brook in London inszeniert wird und dann auch in New York ein Erfolg wird? Und welchen Einfluss haben die Spectaculum-Bände für die Durchsetzung des Gegenwartstheaters und die Rezeption von zwei, wenn nicht drei Generationen von Dramatikern – von Bertolt Brecht und Max Frisch, über Peter Handke, Thomas Bernhard, Tankred Dorst bis hin zu Marlene Streeruwitz und Rainald Goetz?
Die umfangreichen Materialien – zahlreiche Korrespondenzen, von Dramatikern, Lektoren und Regisseuren, bearbeitete Bühnenmanuskripte sowie eine Vielzahl von Notizen, Honorarabrechnungen, Werbematerialien und Fotografien – dokumentieren ein Kapitel deutsch-deutscher wie internationaler Theatergeschichte, das bisher kaum erforscht ist. Gerade die Verflechtung von Theater- und Literaturbetrieb in die öffentlichen Debatten der Bundesrepublik sind bisher kaum Gegenstand der Forschung.
Der Bestand soll dabei nicht als Ausgangspunkt für eine bestandserschließende und -umfassende Geschichte des Theaterverlags dienen; vielmehr soll das Material, verbunden mit den Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach, Indikator für eine literatur- und intellektuellengeschichtlich relevante Einzelfallstudie sein. Die Bestände sollen mit Bezug auf die Gegenwart befragt und dazu genutzt werden, den Forschungshorizont im Rahmen eines Dissertationsprojektes fallbezogen zu vermessen.
Über den Bestand des Siegfried Unseld Archivs hinaus finden sich in den Sammlungen des Deutschen Literaturarchivs die Privatarchive wichtiger Autoren des Theaterverlags wie Peter Handke, Martin Walser, Tankred Dorst, Gerlind Reinshagen oder Heinar Kipphardt. Die Sammlung der Mediendokumentation, die neben Rezensionen auch zahlreiche Theaterprogramme, Rundfunkaufnahmen und -manuskripte bereitstellt, ermöglicht es gemeinsam mit dem Suhrkamp Pressearchiv, den Verlag als Reflexionsmedium einer sich verändernden intellektuellen Öffentlichkeit zu erforschen.